Da mir zum Schreiben die Inspiration fehlt, hole ich sie mir. Und zwar in Form kleiner Schreibchallenges, deren Ergebnisse ich hier teile. Die Challenges sind simpel. Ich bekomme eine Überschrift vorgegeben, dazu einige Wörter, die ich in meinen Text einbauen muss, wie bei einer Reizwortgeschichte. Für den Text habe ich sieben Tage Zeit...
Challenge Nr. 9
Weichmacher
Kosmos
frankophil
coronabedingt
Duschvorhang
Überschrift (Freie Wahl, aber dreisilbig): Wiegenfest
Ein guter Freund, Chris, hatte am Samstag Geburtstag. Erst vor knapp zwei
Wochen hat er mir eine WhatsApp-Nachricht geschickt. Angehängt waren fünf
Wörter, die ich doch einmal für meine Schreibchallenge nutzen könnte. Das würde
ihn freuen. Nun, da er Geburtstag hatte, dachte ich, wäre ein guter Zeitpunkt,
seinem Wunsch nachzukommen.
Mein Verhältnis zu meinem Geburtstag ist wie
das Verhältnis zu meinem Penis: Ich feiere ihn nicht besonders, finde ihn aber
generell gut. Versteht mich nicht falsch, ich schenke gern und liebe es,
beschenkt zu werden. Aber das Älterwerden zu feiern finde ich unsinnig,
außerdem stehe ich ungern im Mittelpunkt. Da kam es mir gerade recht, dass ich
meinen Geburtstag wie so viele Menschen im letzten Jahr coronabedingt erst gar
nicht feiern konnte, dieses Jahr wird es ähnlich sein. Zwei Monate habe ich
noch Zeit, dann rücke ich der 40 ein weiteres unwiderrufliches Stück entgegen,
so langsam wird es eklig. Ich weiß noch nicht, was ich an meinem Geburtstag machen
werde. Womöglich verbringe ich mehr Zeit als sonst hinter dem Duschvorhang,
denn ich bin begeisterter Warmduscher und beim Duschen muss man keine
Nachrichten beantworten oder ans Telefon gehen. Danach kleistere ich mir
Weichmacher für den Bart in den Bart und den Schopf und schmiere mir
Anti-Aging-Creme ins Gesicht, damit ich mich wieder wie 26 fühle. Wahrscheinlich
höre ich auch Musik, die ich seit Jahren nicht mehr gehört habe, fange an zu
tanzen und breche mir das Sprunggelenk. Dann fühle ich mich alt und
hilfebedürftig, bestelle mir fluchend ein Taxi und lasse mich in die
Notaufnahme fahren, denn mein Geburtstag ist ein verdammter Samstag. In der
Notaufnahme schmunzeln sie hinter meinem Rücken und der freche Arzt grinst mir
ins Gesicht – auf einmal bin ich jung, denn ich habe mit 36 eine Verletzung,
für die ich zehn Jahre älter sein sollte. Ich bin beschämt wie ein 14-Jähriger,
der zum ersten Mal beim Onanieren erwischt wurde, lasse mir eine Schiene verpassen
und verlasse die Notaufnahme so schnell wie möglich. Zu Hause trinke ich eine
Flasche Rotwein und spiele „Die Siedler von Catan“ (Kosmos, Spiel des Jahres
1995) gegen mein Über-Ich und mein Es. Mein Über-Ich gewinnt mit vier Städten
und der längsten Handelsstraße, ich werde Zweiter und Es ärgert sich über den
letzten Platz, weil es einfach nicht ans Erz kam und zu viele Zehnen gewürfelt
wurden. Nach der zweiten Flasche Rotwein spüre ich mein Sprunggelenk nicht mehr
und gehe schlafen, die dritte Flasche kippe ich über mein Bett. So oder so
ähnlich könnte es ablaufen, ist nur so eine Vermutung.
Meinen 40. Geburtstag werde ich in vier Jahren auch nicht groß feiern. Ich
werde irgendwo untertauchen, am besten im Ausland, Strand, Ferienhaus,
vielleicht Frankreich. Ich bin überhaupt nicht frankophil, ganz im Gegenteil
und mein Französisch ist gebrochener als es mein Fuß jemals sein wird. Aber ich
liebe den Käse, die Baguettes und den Wein, am liebsten alles zusammen und in
großen Mengen. Mit 40 darf ich auch endlich einen Bauch und eine Schnapsnase
haben, da ist mir dann alles egal. Um mich herum werden zur gleichen Zeit nach
und nach alle 40, deshalb habe ich schon lange die Schnauze voll von den vielen
Feiern und genieße die Zeit irgendwo am Meer ohne den ganzen Trubel. Vielleicht
wühle ich mich durch alte Texte und lese, irgendwann stoße ich auf diesen
Blogbeitrag und nicke zufrieden. Dann fühle ich mich wieder ein bisschen jung
und doch schon ein bisschen alt und ich erkenne, dass meine Sorgen unbegründet
waren. Ich lege die Zettel beiseite, öffne eine Flasche Champagner und sage:
„Gut, dass ich 40 bin.“
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen