Montag, 18. Oktober 2021

Döner-Radar

Da mir zum Schreiben die Inspiration fehlt, hole ich sie mir. Und zwar in Form kleiner Schreibchallenges, deren Ergebnisse ich hier teile. Die Challenges sind simpel. Ich bekomme eine Überschrift vorgegeben, dazu einige Wörter, die ich in meinen Text einbauen muss, wie bei einer Reizwortgeschichte. Für den Text habe ich sieben Tage Zeit...


Challenge Nr. 19

vermöbeln
Cevapcici
schmelzend
lauschig
Zugzielanzeiger


Überschrift: Döner-Radar

Letztens stand ich mal wieder verloren am Freiburger Hauptbahnhof, Gleis 1. Der Zugzielanzeiger informierte mich alle zehn Minuten über die zunehmende Verspätung meines Zuges, der miese Kaffee in meiner Hand wurde immer lauer und die laue Stimmung in meinem Kopf wurde immer mieser. Irgendwann erreichte ich den Punkt, an dem ich kurz davor war, überzukochen. Ich rief meine Freundin an um mich tierisch aufzuregen, damit ich mich abregte. Das funktioniert meistens recht gut und am Ende führten wir ein ganz normales Gespräch. In diesem Gespräch habe ich zum ersten Mal in meinem Leben das Wort ‚Döner-Radar‘ gehört. Die Rede war von einer Freundin, die angeblich über einen solchen Döner-Radar verfügte. Sie war in der Lage, die besten Dönerläden Freiburgs aufzuspüren und es vergingen höchstens ein paar Tage, sobald ein neuer Dönerladen eröffnet hatte, bevor dieser auch von ihr gefunden und ausprobiert wurde. Dann wurden ein paar Freunde zusammengetrommelt und gemeinsam ein Großteil der Karte durchprobiert.
Ich dachte nur: „Döner-Radar, das klingt catchy. Es müsste eine App geben, die so heißt.“ Vielleicht eine, die anzeigt, wo sich in der Nähe der nächste Dönerladen befindet, der Cevapcici anbietet und die mit einem piependen Geräusch Eilmeldungen ausspuckt, sobald man sich einer lohnenden Dönerbude nähert oder in der Heimatstadt eine neue Döneranlaufstelle zu finden ist. In der App muss man sich natürlich ein Benutzerprofil anlegen. Darin ist ein Foto zu sehen, auf dem man mit Sonnenbrille in den Lieblingsdöner beißt. Darunter steht dann: „Kein Kraut, viel Fleisch“, „Vegan mit allem“ oder „Bloß keine Tomaten“, der Dönermann respektive die Dönerfrau scannt die App und weiß dann sofort: Aha, so jemand bist du also. Die App-Nutzenden können Rezensionen schreiben, natürlich als Sprachnachricht. So wissen alle, wo lohnt. Eventuell gibt es noch eine Plus-Mitgliedschaft, die weitere Funktionen freischaltet. Dann kann man sich zum Döner-Tandem verabreden und trifft Menschen mit gleichem Geschmack. Oder mit unterschiedlichem Geschmack und man bestellt für die jeweils andere Person, um das individuelle Spektrum bekannter Gerichte zu erweitern. Das passiert freundschaftlich oder als Partnerbörse, das bleibt einem selbst überlassen. Nach den Elitepartner-Beziehungen und den Tinder-Bekanntschaften gibt es dann die ersten Döner-Pärchen, die bei Lahmacun wild knutschend die Menschen in den Parks und Fußgängerzonen belästigen oder sich mit wehenden Knoblauchfahnen in der Straßenbahn vermöbeln.
Die Döner-Pärchen feiern Döner-Hochzeiten in den lauschigsten Dönerbuden der Stadt. Nach der Hochzeit zeugen sie Döner-Kinder, denen sie Döner-Namen geben. Pide ist die kleine Schwester von Sucuk, der in der Grundschule zweimal sitzen bleibt, in der 9. Klasse sorgt sein Oberlippenbart für schmelzende Blicke bei den Mitschülerinnen und mit 20 wird er zum zweiten Mal Vater. Pide dagegen schafft es aufs Gymnasium, wo sie Ayran kennenlernt, den sie ein paar Jahre später heiratet. Sie schaffen es in die BILD-Zeitung, weil sie das erste Döner-Pärchen-Kinder-Ehepaar mit Döner-Pärchen-Kinder-Kindern sind. Das Döner-Tandem auf der Döner-Radar-App ist mittlerweile so populär geworden, dass es im Volksmund als ‚Dönern‘ bezeichnet wird. Jung und Alt sitzt dönernd auf den öffentlichen Plätzen oder wischt sich auf der Suche zum Dönern in der Supermarktschlange durch die App. Die beliebtesten Döner-VerkäuferInnen sind auf den immer häufiger stattfindenden Döner-Hochzeiten gern gesehene Gäste, meist liefern sie das Festessen, bisweilen halten sie die Traureden.

„Hörst du mir überhaupt zu?“ Meine Freundin ist immer noch am Telefon und tierisch sauer. Sie hat was von irgendwelchen IKEA-Möbeln erzählt und mir eine Frage gestellt, ich habe kaum zugehört und jetzt stehe ich blöd da. „Mein Zug kommt“, antworte ich knapp und es ist gar nicht mal gelogen, denn in diesem Moment trudelt der ICE nach Hamburg mit 50-minütiger Verspätung ein.