Sonntag, 20. Juni 2021

Affenzahn - mein Leben auf der Überholspur

Da mir zum Schreiben die Inspiration fehlt, hole ich sie mir. Und zwar in Form kleiner Schreibchallenges, deren Ergebnisse ich hier teile. Die Challenges sind simpel. Ich bekomme eine Überschrift vorgegeben, dazu einige Wörter, die ich in meinen Text einbauen muss, wie bei einer Reizwortgeschichte. Für den Text habe ich sieben Tage Zeit...


Challenge Nr. 11


Techtelmechtel
blähen
futsch
Knauf
prickelnd

Überschrift: Affenzahn – mein Leben auf der Überholspur


Ich habe in diesem Semester mein Studium endlich erfolgreich beendet – nach 20 Fachsemestern und insgesamt 27 Hochschulsemestern. Auf meinem Zeugnis wird mir ein „gut“ (Note 1,77) attestiert, ich bin jetzt ein Bachelor of Arts, nach knapp 14 Jahren ist mein Studierendenstatus futsch. Nächsten Monat werde ich 36 und ich überlege, eine erste Biographie zu schreiben. Das macht man in den 30ern oder in den 40ern, damit alle wissen, was für ein bewegtes Leben man doch hatte. Danach schreibt man im Abstand von 10 bis 20 Jahren weitere Biographien, in denen man alles revidiert und einen anderen Fokus setzt, denn man ist nun ein anderer Mensch und noch interessanter geworden. Den Titel für meine Biographie, „Affenzahn“, habe ich bereits vor Jahren formuliert. Er ist nicht besonders ernst gemeint, aber besonders prickelnd und er sorgt dafür, dass die Menschen das Buch in die Hand nehmen und den Klappentext lesen. Das Kaufargument Nummer Eins ist das Inhaltsverzeichnis, welches danach aufgeschlagen wird. Hier finden sich Kapitelüberschriften wie „Außer Blähen nichts gewesen“, „Ich scheiße, also bin ich“ und „Techtelmechtel mit Hindernissen“. Die Überschriften sind nicht gerade verlockend, machen aber auf merkwürdige Weise neugierig. Als Verkaufspreis hätte ich gerne meinen Jahrgang, aber für 19,85 Euro erwarten die meisten ein gebundenes Buch oder einen Knaller, meine Biographie ist beides nicht. Vielleicht hat das Buch 198,5 Seiten und jedes Kapitel 1985 Wörter, als zusätzliches Gimmick. Oder ein richtiges Gimmick, wie früher in der Micky Maus. Vielleicht hat es goldene Lettern und riecht nach Benzin. Vielleicht hat es ein Vorwort von Harald Martenstein oder Uschi Glas.
In jedem Fall ist der richtige Zeitpunkt für meine erste Biographie erreicht, denn ich habe einen neuen Lebensabschnitt begonnen und fühle mich der jungen Generation schon lange nicht mehr zugehörig. Erst vor wenigen Monaten habe ich mit Entsetzen festgestellt, dass die meisten der unter 25-Jährigen einen komischen Knauf an ihrem Smartphone haben. Dieser komische Knauf kostet zwischen 9 und 50 Euro und wird an der Unterseite des Telefons befestigt. Neben dem Ausbeulen der Hosentasche besteht die einzige Funktion des komischen Knaufs darin, das Fotografieren von Selfies zu erleichtern. Instagram sollte eine Premium-Mitgliedschaft anbieten, bei welcher man einmal jährlich einen komischen Knauf mit einem Design der Wahl zugeschickt bekommt. Das entspricht dem ungefähren Zeitraum, in dem sich die Instagramierenden ein neues Smartphone zulegen. Aber wahrscheinlich wird die Mobiltelefonindustrie einer solchen Idee zuvorkommen und die übergroßen Geräte in Zukunft standardmäßig mit etwas Komischer-Knauf-Mäßigem ausstatten, ohne dabei das Patentrecht zu verletzen.
Jetzt habe ich doch etwas oft „komischer Knauf“ geschrieben und suche im Internet, wie ebendieser komische Knauf korrekt heißt. Die Suche „Knauf Selfie“ führt mich zum größten Schuh der Welt im Knauf-Museum im unterfränkischen Iphofen, welcher sich für ein Selfie anbietet, während man in dem Schuh Platz genommen hat. Ich verfeinere meine Sucheingabe auf „Smartphone Selfie Hilfe“, kann aber nicht herausfinden, wie das Kackteil heißt. Selbst, wenn ich jetzt sofort so ein Ding kaufen wollte, es würde mir nicht gelingen. „Smartphone Selfie Knopf“ – immer noch nichts. „Smartphone Selfie Griff“ – vielleicht ist es ein Griff? In den Shopping-Ergebnissen tauchen viele merkwürdige Dinge auf, aber kein verdammter Knauf. Ich finde einen „Smartphone Handy Finger-Halter Halterung Griff Stand-Halter Selfie Rot“, der hat eine gewisse Ähnlichkeit und wird meine neue Suche. „Selfie Finger Halter“ ergibt die meisten Ergebnisse, jetzt ploppen zahlreiche Bilder merkwürdigster Ringe auf, die so aussehen, als könnte man sich damit übel den Finger verdrehen. Endlich finde ich ein passendes Bild mit der Unterschrift „Socket“. Die Suche ergibt „Popsocket“ oder „Popgrip“. Geht doch, so heißen die Dinger also. Hat mich verdammte 15 Minuten gekostet.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen