Mittwoch, 26. Mai 2021

Kurze und Kippen

Da mir zum Schreiben die Inspiration fehlt, hole ich sie mir. Und zwar in Form kleiner Schreibchallenges, deren Ergebnisse ich hier teile. Die Challenges sind simpel. Ich bekomme eine Überschrift vorgegeben, dazu einige Wörter, die ich in meinen Text einbauen muss, wie bei einer Reizwortgeschichte. Für den Text habe ich sieben Tage Zeit...


Challenge Nr. 8


phantasieren
salonfähig
Pömpel
Stützbier
ofenfrisch

Überschrift: Kurze und Kippen


Die Corona-Hochzeit neigt sich dem Ende und in Baden-Württemberg haben seit Samstag vor einer Woche die Kneipen wieder auf, erstmal nur bis 21 Uhr. Ich habe es mir nicht nehmen lassen und bin gleich am Montag um 17 Uhr mit brandaktuellem Corona-Negativtest in eine solche Kneipe gestiefelt. „Schachtel“ heißt der Laden, den ich immer als billige Studierendenkaschemme abgespeichert hatte. Das war damals. Mittlerweile hat sich der Schuppen zu einer überaus annehmbaren kleinen Kneipe gemausert, gemütlich, mit angenehmem Publikum.
Jever, herrlich herb, gibt es dort von der Zapfanlage, die genau wie ich ein halbes Jahr ihr arbeitsloses Dasein gefristet hatte, dazu Willi-Shots. Die Shots sind so eine Art Muss, wenn man sich in die Schachtel begibt, alternativ zu Willi ist auch „Agwa de Bolivia“ sehr beliebt. Grüner Likör aus Koka-Blättern, natürlich aus Amsterdam. Ich als militanter Shotverweigerer und ebenso überzeugter Ja-Sager habe selbstverständlich beide probiert. Pro Bier, versteht sich.
Es dürfte jenseits der ersten Stützbiere gegen 19 Uhr gewesen sein, dass ich mir nicht mehr ganz salonfähig vorkam, erste Anzeichen von Vollrausch verspürte und meinem Spiegelbild versprach, noch maximal einen Shot zu trinken. Kurz darauf kam ich in die Versuchung, zwei weitere Shots zu trinken und mir eine Zigarette zu schnorren. Ich bin chronischer Nichtraucher, so wie ich chronisch faul bin – hin und wieder muss ich doch mal damit brechen.
Also raus an die frische Luft, die sich als helle Hölle herausstellen sollte, durch die ich mir maulwurfgleich mit meiner Lunte in der Hand den Weg bahnte. Die Leute erzählten viel und gar nicht so lustige Dinge, mir war aber danach, zu lachen. Also antwortete ich lustige Dinge und lachte. Vor allem das Wort „Pömpel“ versuchte ich oft und laut einzubringen, irgendwann ersetzte ich jedes Verb durch „pömpeln“. Damit machte ich mir meinen Spaß, aber keine Freunde.
So saß ich für eine Weile allein in der Schachtel, bestellte jede Menge Bier, dazu eine ofenfrische Seele, keine Shots. Hin und wieder wurde mir ein Willi hingestellt, dann machte ich eine Ausnahme. Ich weiß nicht, wie lange ich dasaß und das Kneipentreiben beobachtete, das ich gefühlt seit Jahren nicht mehr erlebt hatte. Man sah den Menschen an, wie sehr sie es vermisst hatten, sich in Gesellschaft zu befinden. Man sah ihnen an, wie lange der letzte Kneipenbesuch her war. Wie gierig sie tranken und wie sehr sie es gleichzeitig genossen. Wie wohl ihnen die Gespräche taten und wie ungeübt sie darin waren.
Ich hatte genug vom Beobachten, mir war jetzt ebenfalls nach einem Gespräch. Ich gesellte mich wieder zu den Rauchenden, sorgte für gute Laune und reichlich Gelächter. Jetzt war ich voll dabei, voll in meinem Element, wo ich doch gar nicht weiß, welches mein Element ist, vermutlich Bier.
Womöglich hätte ich in dieser Nacht noch mit anderen selbstauferlegten Tabus gebrochen, hätte irgendwann harte Drogen genommen, phantasiert und wäre Vater geworden, so kam es aber nicht. Pünktlich um halb neun wurde ich zur letzten Runde gebeten, ich bat um ein letztes Bier und Verzeihung, weil ich die Bestellung hinausrülpste.
Mein letztes Bier schmeckte wie Wasser, und es war Wasser, wie ich erkannte, als ich wieder geradeaus kucken konnte. Anscheinend hatte man hier den Zustand eines verlorenen 35-Jährigen erkannt und ihm zur Rettung seines Abends und des darauffolgenden Tages ein Glas Wasser zugespielt. „Toller Laden“, dachte meine Vernunft und die Unvernunft wollte mehr Bier. Ich bezahlte meine Rechnung, gab vernünftiges Trinkgeld und wankte unvernünftig Richtung Tankstelle. Der nächste Tag war scheiße.

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