Mittwoch, 19. Mai 2021

Auf Achse

Da mir zum Schreiben die Inspiration fehlt, hole ich sie mir. Und zwar in Form kleiner Schreibchallenges, deren Ergebnisse ich hier teile. Die Challenges sind simpel. Ich bekomme eine Überschrift vorgegeben, dazu einige Wörter, die ich in meinen Text einbauen muss, wie bei einer Reizwortgeschichte. Für den Text habe ich vierzehn Tage Zeit...


Challenge Nr. 7


Treibgut
pittoresk
Fluppe
japsen
Männermelkmaschine

Überschrift: Auf Achse

In Zeiten von Corona ist man immer weniger unterwegs. Zumindest mir geht das so. Man könnte jetzt meinen: Na klar, das liegt daran, dass man nicht mehr so leicht in den Urlaub fahren kann, Italien oder so. Grenzkontrollen, Hotspot-Warnungen, Impfausweise, et cetera. Aber das ist es nicht. Ich bin noch nie groß in den Urlaub gefahren, über die Landesgrenzen hinweg. Aber ich habe gerne Menschen in deutschen Großstädten besucht. Einfach mal so, für ein paar Tage. Menschen besuchen ist eine schöne Sache, außerdem fahre ich gerne mit der Bahn. Am besten ohne umzusteigen, ohne schreiende Kinder, mit viel Platz und unter der Woche zum Super-Sparpreis. In der Bahn kann ich besonders gut schreiben. Die pittoresken Landschaften, die vorüber ziehen sind auf ebenso unerklärliche Weise eine Inspiration wie die japsenden Fahrgäste, die schnaufend ihre Koffer auf die Ablage hieven und sich schnaubend über das Wetter und die Deutsche Bahn beschweren, die ihre Abteile nicht anständig klimatisiert bekommt. Wahrscheinlich ist es die Bewegung, das Unterwegssein, das Bundesländerübergreifende, was mir das Schreiben erleichtert. Das Schreiben verliert den verkrampften Denkprozess auf der Suche nach Wörtern und Sätzen. War das Schreiben gerade noch der verzweifelte Versuch, flussaufwärts zu fahren gegen die Widerstände der starken Strömung, so werde ich auf Bahnfahrten zu einem Stück Treibgut, das sich treiben lässt und sicher ans Ziel gebracht wird – trotz mancher Hindernisse.
Nun ist es aber so, dass ich nur noch äußerst selten Menschen in anderen Städten besuche. Die Menschen sind sehr vorsichtig geworden und ich bin auch nur ein Mensch. Letzte Woche war ich für ein paar Tage in Hamburg. Unter der Woche, Super-Sparpreis, gut sechs Stunden von Freiburg ohne umzusteigen. Ideal für einen Text, könnte man meinen – zumal der Titel des Textes perfekt zu einer solchen Fahrt passen würde. Aber es war anders als vor Corona. Zu wenige andere Fahrgäste, zu wenig Inspiration, zu viele Masken. Vor allem die eigene Maske war ein extremes Hindernis. Normalerweise habe ich kaum Probleme mit dem Tragen einer Maske, aber auf einer stundenlangen Bahnfahrt nimmt sie mir die Freiheit, die ich brauche, um kreativ zu arbeiten. Zugegeben, ich habe nicht einmal versucht zu schreiben. Das lag daran, dass das Feeling nicht das gleiche war wie bei Bahnfahrten in der Vergangenheit. Und wenn etwas beim Schreiben wichtig ist, dann ist es das Feeling, verdammt nochmal.
Ich freue mich auf die Zukunft. Sobald die Maskenpflicht in den Zügen wieder abgeschafft ist, fahre ich Zug wie ein Irrer. Ich düse durch die Republik und schreibe Texte für Bücher, Zeitungen und die Bühne. Ein paar Jahre später verdiene ich damit mein Geld. Ich erspare mir eine Bahncard 100, von der ich schon seit Jahren träume. Dann fahre ich fast täglich quer durch Deutschland und werde so produktiv, dass ich jährlich zwei Bücher schreibe. Bis dahin bin ich auch ein starker Trinker und habe mit dem Rauchen angefangen. Der Flachmann steht immer griffbereit und sobald der nächste Bahnhof angesagt wird, stecke ich mir die Fluppe in den Mundwinkel und spiele nervös mit dem Feuerzeug. Auch dann schreibe ich von einer besseren Zukunft. Ich schreibe von einer Zeit, in der es keine Ungerechtigkeit gibt. Ich schreibe von einer Zeit, in der niemand mehr sagen wird, dass früher alles besser war und in der Zukunftsangst ein Fremdwort ist. Ich schreibe von einer Zeit, in der die Frauen endlich das Sagen haben und die Männer in ihre natürliche Nutzlosigkeit verweisen. Ich schreibe von einer Zeit, in der Typen wie ich ein paar Stunden am Tag Texte produzieren, danach werden sie an eine Männermelkmaschine angeschlossen und geben gute Gene. Ich schreibe von Utopia.

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