Da mir zum Schreiben die Inspiration fehlt, hole ich sie mir. Und zwar in Form kleiner Schreibchallenges, deren Ergebnisse ich hier teile. Die Challenges sind simpel. Ich bekomme eine Überschrift vorgegeben, dazu einige Wörter, die ich in meinen Text einbauen muss, wie bei einer Reizwortgeschichte. Für den Text habe ich sieben Tage Zeit...
Challenge Nr. 19
vermöbeln
Cevapcici
schmelzend
lauschig
Zugzielanzeiger
Überschrift: Döner-Radar
Letztens stand ich mal wieder verloren
am Freiburger Hauptbahnhof, Gleis 1. Der Zugzielanzeiger informierte
mich alle zehn Minuten über die zunehmende Verspätung meines Zuges,
der miese Kaffee in meiner Hand wurde immer lauer und die laue
Stimmung in meinem Kopf wurde immer mieser. Irgendwann erreichte ich
den Punkt, an dem ich kurz davor war, überzukochen. Ich rief meine
Freundin an um mich tierisch aufzuregen, damit ich mich abregte. Das
funktioniert meistens recht gut und am Ende führten wir ein ganz
normales Gespräch. In diesem Gespräch habe ich zum ersten Mal in
meinem Leben das Wort ‚Döner-Radar‘ gehört. Die Rede war von
einer Freundin, die angeblich über einen solchen Döner-Radar
verfügte. Sie war in der Lage, die besten Dönerläden Freiburgs
aufzuspüren und es vergingen höchstens ein paar Tage, sobald ein
neuer Dönerladen eröffnet hatte, bevor dieser auch von ihr gefunden
und ausprobiert wurde. Dann wurden ein paar Freunde
zusammengetrommelt und gemeinsam ein Großteil der Karte
durchprobiert.
Ich dachte nur: „Döner-Radar, das
klingt catchy. Es müsste eine App geben, die so heißt.“
Vielleicht eine, die anzeigt, wo sich in der Nähe der nächste
Dönerladen befindet, der Cevapcici anbietet und die mit einem
piependen Geräusch Eilmeldungen ausspuckt, sobald man sich einer
lohnenden Dönerbude nähert oder in der Heimatstadt eine neue
Döneranlaufstelle zu finden ist. In der App muss man sich natürlich
ein Benutzerprofil anlegen. Darin ist ein Foto zu sehen, auf dem man
mit Sonnenbrille in den Lieblingsdöner beißt. Darunter steht dann:
„Kein Kraut, viel Fleisch“, „Vegan mit allem“ oder „Bloß
keine Tomaten“, der Dönermann respektive die Dönerfrau scannt die
App und weiß dann sofort: Aha, so jemand bist du also. Die
App-Nutzenden können Rezensionen schreiben, natürlich als
Sprachnachricht. So wissen alle, wo lohnt. Eventuell gibt es noch
eine Plus-Mitgliedschaft, die weitere Funktionen freischaltet. Dann
kann man sich zum Döner-Tandem verabreden und trifft Menschen mit
gleichem Geschmack. Oder mit unterschiedlichem Geschmack und man
bestellt für die jeweils andere Person, um das individuelle Spektrum
bekannter Gerichte zu erweitern. Das passiert freundschaftlich oder
als Partnerbörse, das bleibt einem selbst überlassen. Nach den
Elitepartner-Beziehungen und den Tinder-Bekanntschaften gibt es dann
die ersten Döner-Pärchen, die bei Lahmacun wild knutschend die
Menschen in den Parks und Fußgängerzonen belästigen oder sich mit
wehenden Knoblauchfahnen in der Straßenbahn vermöbeln.
Die Döner-Pärchen feiern
Döner-Hochzeiten in den lauschigsten Dönerbuden der Stadt. Nach der
Hochzeit zeugen sie Döner-Kinder, denen sie Döner-Namen geben. Pide
ist die kleine Schwester von Sucuk, der in der Grundschule zweimal
sitzen bleibt, in der 9. Klasse sorgt sein Oberlippenbart für
schmelzende Blicke bei den Mitschülerinnen und mit 20 wird er zum
zweiten Mal Vater. Pide dagegen schafft es aufs Gymnasium, wo sie
Ayran kennenlernt, den sie ein paar Jahre später heiratet. Sie
schaffen es in die BILD-Zeitung, weil sie das erste
Döner-Pärchen-Kinder-Ehepaar mit Döner-Pärchen-Kinder-Kindern
sind. Das Döner-Tandem auf der Döner-Radar-App ist mittlerweile so
populär geworden, dass es im Volksmund als ‚Dönern‘ bezeichnet
wird. Jung und Alt sitzt dönernd auf den öffentlichen Plätzen oder
wischt sich auf der Suche zum Dönern in der Supermarktschlange durch
die App. Die beliebtesten Döner-VerkäuferInnen sind auf den immer
häufiger stattfindenden Döner-Hochzeiten gern gesehene Gäste,
meist liefern sie das Festessen, bisweilen halten sie die
Traureden.
„Hörst du mir überhaupt zu?“ Meine Freundin ist immer noch am Telefon und tierisch sauer. Sie hat was von irgendwelchen IKEA-Möbeln erzählt und mir eine Frage gestellt, ich habe kaum zugehört und jetzt stehe ich blöd da. „Mein Zug kommt“, antworte ich knapp und es ist gar nicht mal gelogen, denn in diesem Moment trudelt der ICE nach Hamburg mit 50-minütiger Verspätung ein.
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