Samstag, 25. Oktober 2014

Samstag

Fuck, was für eine Nacht. Mein Kopf besteht aus Qual, die Gedanken kreisen wie Polizeihubschrauber bei einer Vermisstensuche über einer Moorlandschaft. Leider vergebens. Wo war ich gestern, was habe ich gemacht? Ich strecke die Zunge heraus und lasse sie an den oberen Schneidezähnen entlang fahren, um eine Probe von ihrem sülzigen Belag zu nehmen. Das Zeug ist tierisch sauer, irgendwas Böses war da im Spiel.

Mein Zustand und die Sonne machen Schlafen zur Unmöglichkeit. Es scheint Tag, vielleicht 12? Die Uhr sagt früher. Nach langsamstem Aufstehen unter Schmerzen wanke ich benommen ins Bad.
Kotzegeruch kommt mir entgegen. Ich klappe die Brille hoch und werde fündig. Ich habe wohl beim Aufräumen die Schublade offen gelassen.
Die dunkelgelbe Pisse plätschert mit dem Durchfall um die Wette. Das Brennen am Arsch ist Nebensache, so sehr dröhnt mein Schädel.
Im Spiegel grüßt sich die wohlbekannte Leiche, die Zahncreme schmeckt wie Feuer. Was zum Teufel habe ich geraucht?
Schmerztabletten, alle guten Dinge sind drei.

Eine Stunde später bin ich drei nichtssagende Flashbacks schlauer, immerhin der Kopf einigermaßen mittelmäßig. Ich überlege, mir einen runterzuholen, entscheide mich dann doch dagegen. Irgendwie ist mir gerade nach einkaufen, das Wetter viel zu gut. Außerdem bin ich in voller Montur von letzter Nacht, da falle ich im Penny gar nicht auf. Der Blick in die schwarze Tiefe des Portemonnaies ist wenig überraschend und doch ernüchternd. Ach ja, die zerbrochene EC-Karte. So ein Kack. Nach kurzem Wühlen in meinen Hosentaschen krame ich tatsächlich einen zerknitterten 20-Euro-Schein heraus. Freudig erregt schnippe ich mir an den Fahrradhelm.


Normalerweise komme ich mir im Penny wie ein Zivilbulle vor. Die ganzen krummen Gestalten, die im besten Fall bis zehn zählen können und ihre merkwürdigen Einkäufe umständlich ergrapscht zur Kasse balancieren, weil der Einkaufswagen zu teuer ist – und dann ich, mit 300 Gramm Ingwer, reichlich Milch und jeder Menge Tiefkühlpizza. Heute nicht. Heute bin ich einer von ihnen. Schon beim Hereingehen heiße ich den beißenden Biergestank in meinen Nüstern willkommen und grüße die drei Zombies, die den Pfandautomat zu bedienen versuchen mit einem mürrischen „Hrmpf.“ Einer spuckt auf den Boden, ich nicke ihm zu.

Die Tumulte im Kassenbereich erfüllen mich mit Vorfreude, mich zieht es aber erst einmal in die vorgeschriebene Gehrichtung. Der Pfeil macht automatisch Platz, ich korrigiere meinen halb geöffneten Hosenstall und lasse den leicht fauligen Geruch alten Gemüses heraus.

Ich gehe zielstrebig an die Orte, an denen man sich tummelt. Ich kaufe Billigcola, Chips und jede Menge Bier. Zwischen Maultaschen und Ofenkäse geht eine mickrige Gestalt verzweifelt auf und ab. „Hast du Kleingeld für mich?“, krächzt sie in schlechtem Deutsch. Er hat einen Rettich und eine Dose Kidneybohnen dabei, guter Einkauf. Gemeinsam geht’s zur Kasse. Dort altbekanntes Spektakel, das wir respektvoll beobachten.

Hinter uns steht ein verwegener Riese mit einem halben Dutzend Bierdosen im Arm. Er sagt unentwegt „Angela Merkel“ vor sich hin und tritt dabei an die Hacken meines neu gewonnenen Kumpanen, der sich davon nicht stören lässt und mittellaut an seinen Fingernägeln knuspert. Um nicht aufzufallen, lasse ich einen langen Furz in meiner Hose knattern. Der akneübersäte Säufer vor mir dreht sich um. „Waschtinkt hierso nach Pisse?“, lallt die Antwort.

Wie alles im Penny ist die Kassiererin chronisch mies drauf. „Nein, fümf fehl’n noch! … FÜMMPF!!!“ schreit sie den armen Vietnamesen an, der ihr daraufhin widerstandslos sämtliches Geld in die dicken Finger mit den gemachten Nägeln drückt. Sie donnert fünf Eurostücke auf die Aluminiumbeschichtung, als präsentiere sie einen Royal Flush. „SOH!“ Kunstpause. „Jetz‘ hemmas!“ Nachdem er sein Kleingeld wieder mühsam aufgelesen hat, schlurft der Mann davon, ächzend unter dem soeben erworbenen Zentner Fritteusenfett. Wie wir alle wird er wiederkommen.

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